Was fasziniert, was verunsichert, was „befremdet“?
Was
fasziniert – die Lebensfreude der Menschen; wie viele Tage hintereinander
gefeiert werden kann; die wenigen Unfälle bei der Fahrweise; zehn Polizisten,
die an einer einzigen Kreuzung trotz funktionierender Ampel den Verkehr regeln;
die Kontraste, die dieses Land aufzuzeigen hat; das Essen; Nationalfeiertage
und die Tatsache, dass es nicht realitätsfern wäre, dass selbst Marienkäfer ihren
eigenen Feiertag haben; wie vielfältig und interessant eine Kultur sein kann;
Rituale; wie viel Zucker sich in Lebensmitteln befinden kann, weil es sonst
nicht schmeckt; dass alle von einem Teller und mit den Fingern essen; die
„Baby-Trage-Technik“ und die Art und Weise der Durchführung; dass Kinder
niemals mit Hunden an der Leine spazieren gehen, sondern sie eher Kühe an der
Leine spazieren führen; die Selbstverständlichkeit des öffentlichen Pinkelns,
selbst an Ampeln auf großen Kreuzungen; dass Kleinkinder beim Wickeln einfach
auf den Boden gelegt werden, beziehungsweise grundsätzlich auf dem Boden
liegen; dass Kinder zur Arbeit mitgenommen werden; dass wenn auf der Arbeit
nichts zu tun ist, man auch einfach mal ein Nickerchen halten kann, bis man von
dem nächsten Kunden geweckt wird; „cholitas“; die Tütenwirtschaft, Trinken und
Essen wird überwiegend in Tüten verkauft, um Teller nicht spülen zu müssen
werden auch diese in Tüten verpackt und nach Verzehr wird die Tüte einfach ausgetauscht;
die herunterhängenden Stromleitungen; dass an jeder Kirche, an der man
vorbeigeht, das Kreuzzeichen gemacht wird, aber die Kirche an Heiligabend fast
leer ist; traditionelle Musik, die Tänze und Kostüme dazu; dass jedes noch so
kleine Dörfchen einen Schutzpatron hat, der einmal im Jahr über mehrere Tage
gefeiert wird (ich weiß nicht ob die eigene Vorstellungskraft dazu ausreicht,
um zu begreifen, wie viele Feste es demnach gibt); dass auf einem Motorrad eine
ganze Familie samt Kleinkind Platz findet und der Helm überbewertet wird (wenn
ein Helm getragen wird, trägt diesen meistens der Mann vorne); Alkoholkonsum;
die Tatsache, dass Evo Morales davon überzeugt ist, dass das Erlernen indigener
Sprachen gefördert werden muss, aber selbst keine davon spricht; dass vor
Präsidentschaftswahlen das Ausschenken von Alkohol verboten ist; wie groß der
15. Geburtstag von Mädchen gefeiert wird; dass eine Milchpackung 946ml Milch
enthält; die Preise für uns Europäer und die Tatsache, dass wir genauso handeln
wie die Bolivianer; die Art zu teilen; wie lange Kinder noch bei ihren Eltern leben;
Unpünktlichkeit, dass wenn etwas um 10 Uhr starten soll, es in Wirklichkeit um
14 Uhr beginnt; Süßigkeiten zum Frühstück; dass wenn Evo Morales sich aufgrund
der Verlegung einer neuen Gasleitung in der eigenen Straße befindet und man
nicht kommt, man mit Konsequenzen zu rechnen hat; dass Hühnchen als vegetarisch
bezeichnet wird; dass aus dem Fenster des Busses heraus Speisen und Getränke
gekauft werden können und auf dieselbe Art und Weise auch Müll entsorgt werden
kann; zu neunt in ein normal großes Taxi steigen und sagen, dass noch drei
Leute Platz haben; nach dem Weg fragen und sofort eine
Antwort bekommen - die komplett falsch ist; die goldenen Sterne auf den Zähnen
einiger „cholitas“; wie schick sich die kleinen Kinder für die Schule machen;
frisch gepresster Orangensaft für knapp 30 Cent und noch kostenlos
nachgeschenkt bekommen; Prostitution; dass du alles auf der „cancha“ kaufen
kannst und sich die Bolivianer bei der Größe der „cancha“ orientieren können; wenn
du Schuhe suchst, brauchst du nur in eine Straße zu gehen und du triffst auf mindestens
20 nebeneinanderliegende Schuhgeschäfte; seine Wäsche im Fluss mit Hand zu
waschen; dass die Apotheker die neuen Ärzte sind; dass ein Arzt, egal was man
hat, mindestens drei verschiedene Medikamente verschreibt; dass es erst seit
letzter Woche nicht nur im Norden der Stadt (wohlhabenderes Viertel) Mülleimer
gibt und zwar mit Trennungssystem, womit die Mehrheit nichts anzufangen weiß;
niemals im Bikini schwimmen zu gehen; nach jedem Telefonat statt „tschüss“ „listo“
(fertig) zu sagen; dass man sich nicht an Straßennamen und Nummern orientiert,
sondern an sich zwei kreuzenden Straßen; dass einige Fahrzeuge mehr Lichter besitzen
als die Fahrgeschäfte auf der Kirmes; dass egal ob du dich in einer Bank oder
in der Apotheke befindest, du eine Nummer ziehen musst, weil sonst die Reihenfolge
nicht respektiert wird; dass man mindestens einmal im Monat nicht zur Arbeit
kommt, weil es „bloqueos“ gibt und selbst die Taxifahrer, wenn man sie
anspricht, manchmal sagen, dass sie heute keine Lust hätten zu fahren; dass
egal ob auf Hochzeiten oder Partys immer in einer Reihe getanzt wird; die
Verniedlichung eines jeden Wortes; der Mischglaube – Katholizismus, in dem oft
noch Magie und Geistergläubigkeit eine Rolle spielen.
Was
verunsichert – die unsicheren Straßen Boliviens, wenn man diese, die bei Regen
eher einem Fluss ähneln, als Straßen bezeichnen kann; die vielen Straßenhunde; die
„chicos“, die sich mit dir treffen, obwohl sie Frau und Kind zu Hause haben;
Kinderarbeit und die immer wiederkehrende Diskussion, ob man sie in Form von
Geld unterstützen sollte oder nicht (meiner Meinung nach ist Geld an der Stelle
keine Lösung); das Fehlen von Fußgängerampeln (zeigt deutlich wer im
Straßenverkehr was zu „sagen“ hat – hier gilt: je größer das Fahrzeug, desto
mehr Rechte im Straßenverkehr hat es); der ständige Durchfall in den ersten
Monaten und die Tatsache, dass man trotzdem zunimmt; eine Gruppe von
„inhaladores de clefa“ die auf einen zukommt; dass man abends von der Arbeit
zum „trufi“ begleitet werden muss; dass man nicht an jedem beliebigen
Geldautomaten Geld abheben sollte; all die Tricks, die es gibt, um jemanden
auszurauben; Leid und Armut; das Hinterherpfeifen seitens der Polizisten und
deren Freundlichkeit Ausländern gegenüber; dass alle einen mögen, wenn man weiß
und blond ist; die strengen Regeln von Eltern und die Tatsache, dass ich den
Eltern einer 24jährigen Freundin einen Besuch abstatten und um Ausgeh-Erlaubnis
bitten muss; die Mundhygiene der Kinder; dass die Kinder trotz jeglicher
Krankheit in den Kindergarten gebracht werden; dass Kinder betrunken oder auch
einfach mal gar nicht abgeholt werden; dass man als Tourist grundsätzlich
abzuziehen versucht wird; dass Lehrer einfach nicht zum Unterricht erscheinen;
Dinge, die für uns selbstverständlich sind, für die Bolivianer zu Luxus
gehören; die Möglichkeit Hundewelpen auf dem Markt einkaufen zu können; 36,4% der Straßen in der Umgebung nicht bei Nacht betreten zu können
(nach eigenen Berechnungen), weil selbst die Einheimischen diese als gefährlich
bezeichnen und nicht dort lang gehen; die etlichen Narben betrachten und sich
fragen, wie so etwas überhaupt zu Stande kommen kann; dass die meisten der
Prostituierten nicht mit Geld umgehen können und es für Luxusartikel ausgeben
statt in ihre Zukunft zu investieren; dass Frauen oder Kinder seitens ihrer
Partner Gewalt erleben und dies aber oftmals kein Trennungsgrund ist; die
schlechten Bedingungen in den Hostals der Prostituierten; die Tatsache, dass
die Prostituierten aufgrund ihres Verdienstes ihren Job nicht aufgeben möchten,
aber es ihnen die Gesellschaft schwer macht als „normale“ Frau anerkannt zu
werden, die weder stehlt noch tötet oder sonstiges Verbrechen begeht, sondern
einfach nur ihrem Job nachgeht, der meiner Meinung nach wichtig ist (Grundvoraussetzung:
freier Wille); dass kaum einer einen 100 bolivianischen Schein (10€) annimmt,
weil er kein Wechselgeld hat; die Bilder von verbrannten Körpern auf der
Titelseite der Tageszeitung; wie verwahrlost die Kinder zum Teil sind; die
Tatsache, dass Kinder überall hin mitgenommen werden selbst in die
Nachtvorstellung im Kino; dass vor jedem Eingang einer Bank ein Polizist mit
mindestens einer Waffe steht und alles was er tut, dir hinterherzuschauen ist (ohne
arrogant zu klingen); dass auf jeder Werbung nur „Weiße“ zu sehen sind; dass
die meisten Bolivianer weder schwimmen noch Fahrrad fahren können.
Was
„befremdet“ - das Misstrauen, das man
den Menschen gegenüber leider oft haben muss; die Korruption, die einfach
überall ist, jedoch auch vieles „leichter“ macht, zum Beispiel beim Umgehen
eines Strafzettels; wie grausam Korruption sein kann; dass man niemals sein Hab
und Gut aus den Augen lassen sollte; dass fließend Wasser keine
Selbstverständlichkeit ist; Organhandel; der schnelle Einsatz von Rauchgas seitens
der Polizei; Gewalt; Verantwortungslosigkeit seinen Kindern gegenüber; dass
„inhaladores de clefa“ von Polizisten aufgesucht, beraubt und teilweise
misshandelt werden; über Schlafende „steigen“, die in den Gassen der Stadt
wohnen; Machtlosigkeit; die Tatsache, dass die Kinder meist keine andere Wahl
haben, als denselben Weg einzuschlagen wie ihre Eltern, wenn sie aus ärmlichen
Verhältnissen kommen; die katastrophalen
Umstände in den Gefängnissen und die Tatsache, dass ganze Familien dort
zusammenlaben und manchmal selbst Opfer und Täter sich auf engstem Raum befinden;
das Alter der Straßenkinder, das heißt ab wann sie bereits auf die
Straße gehen (oft aufgrund der Gewalt zu Hause) und in wie jungen Jahren sie aufgrund
der Nebenwirkungen des Klebstoffes sterben; dass die „inhaladores de clefa“
durchgehend mit dem Kleber unter der Nase herumlaufen.
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