Mittwoch, 31. Oktober 2012

Bolivien – ein Land voller Gegensätze, die größer nicht sein könnten


Bevor ich näher auf Marias Abschiedsparty und den „gusano“ (Wurm), den ich essen musste, eingehe, werde ich euch erst einmal etwas über Bolivien erzählen, damit ihr euch zumindest ein bisschen mehr unter dem Leben in Bolivien vorstellen könnt. Für mich ist Vieles schon Alltag geworden, deswegen versuche ich es mit den Augen zu betrachten, mit denen ich es zu Beginn gesehen habe.
Bevor ich zu meinen persönlichen Erfahrungen komme, erst einmal eine kleine Kurzinfo zu dem Land und den Menschen. Bolivien hat knapp 10 Mio. Einwohner und ist ungefähr so groß wie Spanien und Frankreich zusammen. Es gibt 36 verschiedene Sprachen, wobei Spanisch, Quechua, Aymara und Guaraní zu den Wichtigsten zählen. Erst seit 1995 wird interkulturelle zweisprachige Erziehung (Unterricht in indigener und spanischer Sprache) unterstützt.
Ca. 55% der Menschen gehören den indigenen Völkern an, 30% sind Mestizen (Nachkommen europäisch-indianischer Eltern) und die restliche Bevölkerung besteht aus Nachkommen verschiedener Einkommenswellen des 2. Weltkrieges. Hinsichtlich des 2. Weltkrieges sind viele Menschen informiert, haben jedoch nicht immer die richtigen Informationen, denn es gibt einige die glauben, Hitler hätte Gutes vollbracht. Somit meinen sie es auch nicht Böse, wenn sie hören, dass wir Deutsch sind und uns mit dem Hitlergruß begrüßen. Als ein Mann erfahren hat, dass wir aus Deutschland kommen, war er der Meinung wir müssten mit Hitler verwandt sein. Frauen vom Land haben mich auch schon gefragt wie weit Deutschland weg ist bzw. wie viele Stunden man mit dem Bus unterwegs wäre. Diesbezüglich muss man wissen, dass in Südamerika die meisten Einheimischen mit dem Bus reisen, weil es die günstigste Transportmöglichkeit ist, daher denke ich hat sie keine andere Transportmöglichkeit in Erwägung gezogen. Obwohl die meisten Menschen hier mit dem Bus unterwegs sind, weist Bolivien gravierende Mängel im Vergleich zu anderen Weltregionen hinsichtlich der Infrastruktur auf und liegt auf dem letzten Platz Südamerikas. Damit ihr euch das mal vorstellen könnt: bis 2001 waren ca. 5% der Straßen asphaltiert. Ich glaube mittlerweile sind es 8%. Die meisten Menschen kommen hier aufgrund von Verkehrsunfällen um. Vor allem in der Regenzeit sind die Busfahrten aufgrund von Schlammlawinen nicht ganz ungefährlich.

Der Präsident Evo Morales ist der erste indigene Präsident, ein Koka-Bauer. Er hat sich zu Beginn sehr für die Bauern eingesetzt und war daher sehr beliebt, was sich mittlerweile aus mehreren Gründen geändert hat. Ich kann an dieser Stelle nur das wiedergeben, was ich von verschiedenen Menschen gehört habe. Zum einen soll er sich deswegen unbeliebt gemacht haben, weil er die Kokainproduktion unterstützen soll. An dieser Stelle muss ich sagen, dass das Kokain, welches hergestellt wird, kaum für den Eigengebrauch der Bolivianer genutzt, sondern überwiegend nach Nordamerika und Europa geschmuggelt wird. Dies scheint eine gute Einnahmequelle zu sein, wenn man sich teilweise die Autos anschaut, die die Leute hier fahren. Das, wovon die Bolivianer Gebrauch machen, sind die Kokablätter und das ist noch längst keine Droge, wie manch einer glauben mag.
Koka gehört seit jeher zur bolivianischen Kultur. Das Kauen der Blätter steigert die Wachsamkeit und verringert die Wahrnehmung von Hunger, Kälte und Schmerz. Das unbehandelte Blatt ist weder schädlich noch Sucht auslösend und soll Kalzium, Eisen und Vitamine enthalten. Als es mir richtig schlecht ging, war Koka Tee das Einzige, was mir geholfen hat. Als Kokain jedoch zu einer sehr beliebten Droge in den USA wurde, hat die USA in den 90er Jahren Einsatzkräfte der DEA nach Bolivien entsandt, um bei der Kokavernichtung zu helfen. Zudem wurden Millionen Dollar „Entwicklungshilfe“ ins Land gepumpt, um den Anbau anderer Nutzpflanzen zu fördern. Als sich dies jedoch als Fehlschlag erwies und die Armut unter den Kokabauern anstieg, haben diese den Koka-Bau in andere Gebiete verlagert. Danach gibt es einige Berichte über brutale Übergriffe und Menschenrechtsverletzung der DEA gegenüber den Kokabauern. Evo Morales führte den Widerstand gegen die Koka-Vernichtungspolitik. Nach seiner Präsidentschaftswahl bekräftigte er mit seinem Slogan „Koka ja, Kokain nein“ den Ansatz, die Lösung des Kokainkonsums beim Konsumenten, nicht beim Produzenten zu suchen.
An dieser Stelle – das Koka Ritual:
Die Blätter werden nacheinander von den Rippen gelöst und in die Backentasche gesteckt. Danach beginnt man sie gut einzuspeicheln – sie werden nicht gekaut! Das Prozedere kann 45 Minuten oder länger dauern. Eine interessante Erfahrung.
Ein anderer Grund warum sich Evo Morales unbeliebt gemacht hat, ist ein umstrittenes Straßenbauprojekt durch einen Nationalpark (jeder der mehr hierzu erfahren möchte, siehe Google).
Der Präsident war auch vor kurzem in unserer Straße, da Gasleitungen verlegt worden sind. Es hieß, dass jeder Anwohner, der nicht erscheint, eine Strafe zahlen muss…Sehr kreativ ist er auch was seine Werbegeschenkte betrifft, zum Beispiel verschenkt er Laptops mit seinem Gesicht darauf abgebildet.

Für die Bolivianer haben freundliche Begrüßungen und Höflichkeiten einen hohen Stellenwert. Ein Gespräch beginnt mit dem üblichen „buenos dias“ und einem „Cómo está?“. Zudem wird bei fast allen Worten ein „-ito/a“ drangehangen, was einer Verniedlichung im Deutschen entspricht. Was ich mag ist, dass die Mädchen hier als „mamita“ und die Jungs als „papito“ angesprochen werden.

Die Bekleidung der Menschen variiert extrem: von den Cholitas, den traditionell gekleideten Frauen bis zu jenen, die dem jeweils neuesten Designertrend folgen.
Die Kleidung einer Cholita besteht aus einer „pollera“ (Überrock) und bis zu zehn Unterröcken, was sie oft übergewichtig „erscheinen“ lässt. Zudem trägt sie oft einen typischen Hut. Die Kleidung unterscheidet sich in Länge, Stoff, Anzahl der Volants stark nach Region und finanzieller Situation der Trägerin.
 Die Cholitas aus La Paz zum Beispiel tragen längere Röcke, da es dort kälter ist und diesen für die Stadt typischen Hut.



Viele "cholitas" haben Goldzähne, die nicht nur als modern sondern auch als Symbol des Wohlstands gelten. Der neueste Trend ist es sich goldene Sterne auf die Zähne befestigen zu lassen. Wir haben eine Frau im Projekt, die solche Sterne hat. Ich werde versuchen dies zu fotografieren, um es euch demonstrieren zu können, vielleicht setze ich damit einen Trend in Deutschland.

Der Lebensstandard der meisten Bolivianer ist alarmierend niedrig: Schlechte Wohnbedingungen, unzureichende Ernährung, wenig Aussichten auf eine gute Bildung und mangelhafte sanitäre und Hygienebedingungen. Auf dem Land leben viele Menschen mit der ganzen Familie in kleinen Hütten, die einem Zimmer entsprechen, teilweise keine Fenster oder Türen eingebaut haben. Dächer, die aus Blech bestehen, das durch das Auflegen von Steinen befestigt werden.


Meistens gibt es Gemeinschaftstoiletten und Duschen ohne fließend Wasser. Gewaschen wird im Fluss. Für mich persönlich war es schon eine große Umstellung das Toilettenpapier nicht in die Toilette zu werfen. Nicht nur einmal musste ich danach „fischen“, da ich nicht verantwortlich sein wollte für eine Verstopfung und das Überlaufen der Toilette. Im Vergleich zu den meisten Menschen leben wir hier im Luxus. Wir wohnen zu viert in einem großen Haus mit drei Badezimmern. Außerdem genießen wir den Luxus einer Waschmaschine, bei der nur das abfließende Wasser mit dem Eimer geschöpft und ausgegossen werden muss. Dies ist ein konstruktiver Einfall von Dennis (mein Mitbewohner) und dient dazu die Erde in der Trockenzeit zu befeuchten. Eine sehr „bescheidene“ Konstruktion meiner Meinung nach, vor allem wenn man es vergisst und somit das ganze Zimmer überschwemmt –was mir nicht nur einmal passiert ist, aber ich möchte mich auf keinen Fall beschweren!

Nun wieder zu den Gegensätzen wie Arm und Reich. Die Lebensbedingungen, die ich oben beschrieben habe gelten schon als sehr niedrig, jedoch geht es noch schlimmer. Es gibt etliche Menschen, die gar kein Dach über dem Kopf haben und ums tägliche Überleben auf der Straße kämpfen müssen. Hierzu zählen auch Kinder, die auf sich allein gestellt sind. Bolivien ist nun mal das ärmste Land Südamerikas. Zu diesen negativen Seiten Boliviens komme ich jedoch später. Auf der anderen Seite sind die Reichen, oft Brasilianer, die es aufgrund der niedrigen Studiengebühren nach Bolivien zieht. Ich habe zum Beispiel brasilianische Jungs kennengelernt, die zu viert in einem riesigen Haus leben. Außer ihrem Swimming- und Whirlpool besitzen sie eine Sauna und eine Bar im Garten. Zudem haben sie einen kleinen Springbrunnen in ihrem Wintergarten. Ich glaube nach oben sind dem Reichtum keine Grenzen gesetzt.


Zur Religion der Cochabambinos. 95% der Bevölkerung sind katholisch. Die Einheimischen vermischen ihre traditionellen oder Inkaglaubensvorstellungen mit christlichen zu einem Mix aus katholischen Lehrsätzen und abergläubischen Vorstellungen. 

Durch die Spanier kam auch die katholische Kirche ins Land. Der Katholizismus wurde den Menschen Südamerikas aufgezwungen, jedoch wurde ihr Glaube an die alten Götter nicht völlig ausgelöscht. So fanden viele der Glaubenselemente und Göttervorstellungen Eingang in den Katholizismus. Entstanden ist ein Mischglaube, in dem oft noch Magie und Geistergläubigkeit eine Rolle spielen. Eine große Rolle spielen die Patronatsfesttage der Kirchenheiligen, an denen aber auch Gottheiten geehrt werden. Während der eigentlich christlichen Feste werden gleichzeitig alte Rituale und Opfer zelebriert.
In den letzten 30 Jahren haben die evangelikalen (US-)Kirchen in Bolivien immer mehr an Einfluss gewonnen. Inzwischen gehören sieben Prozent der Bevölkerung einer dieser als Sekten eingestuften Glaubensgemeinschaften an. Der Erfolg der Sekten liegt unter anderem an der vehementen Ablehnung von Alkohol, dessen Missbrauch vor allem auf dem Land ein ernstes Problem ist. Doch da Alkohol zwingend zu den andinen Festen gehört, grenzen sich die Anhänger der Sekten fast zwangsläufig aus den Dorfgemeinschaften aus. Gleichzeitig lehnen die Evangelikalen auch die Verehrung alter Gottheiten wie der Pachamama ab. Dies führt mancherorts zu heftigen Auseinandersetzungen. So zerstören aufgebrachte Indígenas eine evangelikale Dorfkirche, weil deren Mitglieder ein traditionelles Fest boykottiert hatten, das die alten Götter wohlgesonnen stimmen sollte. Wegen dieser Verweigerung, so hieß es, hätten die Götter die Ernte mit einem Hagelsturm zerstört.
In manchen Andendörfern sind bereits die Hälfte der Einwohner Anhänger der evangelikalen Kirchen. Hier, so fürchten Kulturbeauftragte, werde über kurz oder lang die indigene Kultur mit ihren Tänzen, Liedern und Trachten verloren gehen.
Ich hatte vor kurzem ein Gespräch mit unserer Köchin, die mir aus dem Nichts eine Postkarte vorlegte. Auf dieser Karte waren der Weg des Todes und der Weg des Lebens abgebildet. Alle Menschen, die sich an den traditionellen Festen erfreuen, tanzen und trinken, befinden sich auf dem Weg des Todes. Daraufhin hab ich sie gefragt, ob ich mit dem Tanzen aufhören müsste, um auf den Weg des Lebens zu gelangen. Sie meinte nicht von heute auf morgen, aber ich könnte mich so dem Weg des Lebens annähern. Ein anderes Beispiel hat sich ereignet, als wir die Kinder an einem Geburtstag geschminkt haben. Ein Junge wollte als Spiderman bemalt werden. Nach einiger Zeit lief er mit einem traurigen Gesicht herum. Als ich ihn fragte, was passiert sei, meinte er ihm gefiele Spiderman nicht, obwohl er unbedingt so geschminkt werden wollte. Herausgestellt hat sich, dass ihm seine Mutter sagte, er komme dafür ihn die Hölle, weil Spiderman eine böse Figur sei. Beide Frauen gehören der evangelikalen Kirche an. 
Die Pachamama, die Mutter Erde spielt eine große Rolle in Bolivien. Ob die Ernte gut ausfällt, die Viehzucht gelingt und die Familie gesund bleibt, hängt von Segen Pachamamas ab. Dieser Glaube ist in der andinen Bevölkerung bis heute erhalten geblieben. Bevor ein Bauer das Feld bestellt, bittet er mit traditionellen Roten und Opfergaben die Mutter Erde um Verzeihung für die Verletzungen, die er ihr zufügen wird. In Zeremonien streuen die Bauern Cocablätter aus, vergraben Lamaföten und verbrennen das, was sie sich an materiellen Gütern wünschen in Form von Miniaturen aus Zucker. Die Gaben sind Ausdruck höchster Achtung und gleichzeitig ein Handel: Soll Pachamama ihren Segen geben, so muss gut für sie gesorgt werden, denn sie ist nicht gnädig, sondern gerecht. 
Auf autochthonen Festen zum Beispiel (von denen es hier nicht gerade Wenige gibt) wird der erste Schluck der Chicha der Pachamama gewidmet. Chicha ist ein alkoholisches Getränk, das in der gesamten Andenregion verbreitet ist. Es ist bierartig und wird aus Mais hergestellt. Bei der traditionellen Form der Herstellung werden aus Maismehl gebackene Fladen von Frauen durchgekaut, also mit viel Speichel durchtränkt. Die Stärke wird durch im Speichel vorhandene Enzyme schnell in Zucker verwandelt, dessen Lösung dann leicht in Gärung übergeht. Manchmal ist es besser nicht alles zu wissen… 
Chicha wird in diesen Eimern serviert...

und normalerweise mit Hilfe einer Kokosschale, aus der alle trinken, geschöpft. Bevor man jedoch trinkt, muss man jemanden einladen, der im Anschluss trinkt. Anschließend "schüttet" man zu Ehren der Pachamama einen Schluck auf den Boden und trinkt dann. Vergisst man jemanden einzuladen, muss man noch einmal trinken.
Hierzu mal wieder ein Kontrast. Die Bolivianer verehren die Mutter Erde, viele werfen jedoch wiederum ihren Müll auf den Boden. Auch ist es nicht unüblich seinen Müll zu verbrennen.
"Es ist verboten Müll auf Straßen und öffentliche Plätze zu werfen. Strafe: 500 Bs. 
Evo Morales"

Die Umweltverschmutzung liegt zum einen an der fehlenden Umwelterziehung. Zum anderen gibt es in manchen Stadtgebieten kaum Mülleimer oder völlig Überfüllte. Die Häufigkeit des Vorkommens von Mülleimern bezieht sich darauf, ob man sich in einem armen oder wohlhabenderen Stadtviertel befindet.

Bolivien ist stark in Traditionen verwurzelt, unter anderem was die Musik und die Tänze betrifft. Trotz zahlreicher kunterbunter Einflüsse hat jede Region Boliviens ihren eigenen musikalischen Stil samt den dazugehörigen Musikinstrumenten entwickelt. Ich fühl mich im Reggaeton-Genre heimisch.
Bei den traditionellen Tänzen werden Krieg, Fruchtbarkeit, Tapferkeit bei der Jagd, Heirat und Arbeit zelebriert. Die europäischen Tänze der Spanier vermischten sich mit denen der afrikanischen Sklaven und entwickelten sich so zu den Festtänzen des heutigen Boliviens. Dazu zählt auch Caporales.
...meine erste Entrada in Arani


Caporales wird überwiegend von Studenten und jungen Leuten der Mittelschicht getanzt. Der Tanz porträtiert den schwarzen Vorarbeiter, der seine Untergebenen mit der Peitsche schikaniert.
Wenn wir schon mal beim Thema sind, kommen wir nun zum Feiern. Ein ganz wichtiges Thema in Bolivien. Auch der Lonely Planet sagt: „Den Besucher erwartet ein aktives Nachtleben, das die Stadt ihren Universitäten und deren Studenten verdankt“. Neben den modernen Diskotheken, in denen High Heels ein Muss sind, gibt es dann die Dorffeste, die es in sich haben. In jedem Dorf gibt es eine „entrada“, bei denen die Jungfrau Maria oder ein anderer heiliger geehrt wird. Es wird oft mehrere Tage gefeiert, getanzt und getrunken. Es gibt unzählige Tanzgruppen, die durch die Straßen der Stadt ziehen, mit unterschiedlichen Tänzen, Kostümen und verschiedener Musik. Das liebe ich an diesem Land. Tanzen gehört einfach zum Leben dazu. 















Zum Schluss der Entrada ist eine Menge an Polizisten hinterhergezogen. Genau wie bei den Tanzgruppen haben die Zuschauer „tanzt“ zugerufen und geklatscht. Dies gilt als Spot den Polizisten gegenüber, da sie in Bolivien nicht allzu beliebt sind, denn Korruption wird hier groß geschrieben. Um mal ein Beispiel zu nennen: Ich bin letztens in dem Auto eines Freundes mitgefahren, der beim Rückfahrersitz gefärbte Scheiben hat. Aufgrund dessen hat die Polizei ihn angehalten. Für mich war dies erst einmal unverständlich, denn schließlich sind es nur schwarze Scheiben und so aufgemotzte Auto, wie hier rumfahren, hab ich noch nie gesehen, von der Beleuchtung her sehen die aus wie die Geräte auf der Kirmes. Leider habe ich es noch nicht geschafft dies mit der Kamera festzuhalten. Auf jeden Fall hat er der Polizei dann ein wenig Geld in die Hand gedrückt und weg waren sie, so werden hier die Probleme gelöst – mit Geld. Im Nachhinein habe ich dann auch erfahren, warum verdunkelte Scheiben verboten sind und zwar aus Sicherheitsgründen. Denn auf diese Art und Weise könnte man Menschen auf der Rückbank misshandeln oder Drogen verstecken ohne dass es jemandem auffallen würde. Wenn es zu einem Unfall kommt (mich wundert es, dass ich, bei diesem Fahrstil, der hier üblich ist, noch keinen Unfall gesehen habe) wird die Polizei nicht alarmiert, denn dies ist sehr kostspielig.
Hier kann man bei Rot über die Ampel gehen, mit der ganzen Familie gesamt einem Kleinkind auf dem Motorrad fahren und die Polizei sagt nichts, außer sie brauchen mal wieder ein bisschen Kleingeld, so wurde es mir zumindest gesagt. Als wir zu dritt auf einem Motorrad gefahren sind – ohne Helm und ein Polizist neben und stand, meinte er nur das Motorrad sei nicht für drei Personen geeignet, aber das war es auch schon. Es ist immer wieder ein Abenteuer mit dem Motorrad durch Cochabamba zu cruisen. Überwiegend ist man hier jedoch mit Kleinbussen „trufis“ unterwegs.


Außer in der Stadt gibt es keine festgelegten Haltestellen, das heißt man braucht nur seine Hand an einem vorbeikommenden "trufi" auszustrecken und er hält an. Am Anfang war es gar nicht so einfach mir zu merken wo ich aussteigen muss, denn es gibt ja weder Haltestellen noch werden Straßennamen angesagt. Das mit den Straßennamen ist hier auch so eine Sache, denn die gibt es nicht wirklich immer. Hier orientiert man sich an zwei kreuzenden Hauptstraßen. Es gibt auch keine bestimmten Zeiten an denen ein "trufi" kommt. Manchmal kommt eine Viertelstunde lang einfach keiner und manchmal drei hintereinander. Dennoch gibt es eine Kontrolle, ob die Fahrer ihre Zeiten einhalten und zwar ist dies eine "cholita" am Straßenrand. Sie nimmt die Karte des Fahrers entgegen und stempelt sie ab. Eine Fahrt zur Arbeit, die ca. 15 Minuten dauert kostet mich etwa 20 Cent. Die "trufis" fahren jedoch nur bis ca. 10 Uhr, danach muss man ein Taxi nehmen. Das ist hier auch eine interessante Sache. Denn im Grunde kann jeder ein Taxi fahren, er braucht sich nur ein Schild oder einen Aufkleber ins Auto zu kleben. Von diesen Taxen wird einem jedoch abgeraten, da es schon häufiger zu Überfällen gekommen ist. Wir fahren immer mit den Radio Taxis, die für eine Zentrale arbeiten. Diese erkennt man an der Telefonnummer an der Fahrzeugtür. Die Taxifahrer nehmen so viele Personen mit wie in das Auto passen. Also ich glaube mein bisheriges Maximum lag bei 11 erwachsenen Personen. Der Kofferraum bietet schließlich noch genügend Raum, der genutzt werden kann.

Ganz interessant ist es auch als Fußgänger, denn ich habe in ganz Cochabamba bisher eine Fußgängerampel gesehen. Das heißt als Fußgänger muss man sich an den Ampeln der Autos orientieren und diesbezüglich sollte man sehr aufmerksam sein, denn die Autofahrer treten nicht grundlos auf die Bremse und ein Fußgänger ist kein Grund, also wenn sich ein Auto nähert, heißt es Laufen. Eine rote Ampel ist auch kein Grund zu bremsen, wenn kein Auto in Sicht ist.
Hat man sich irgendwann verlaufen und fragt einen Bolivianer nach dem Weg, weiß er immer eine Antwort, auch wenn es nicht die Richtige ist.

Kommen wir zu einem weiteren Kontrast Boliviens. Die meisten Menschen hier sind prüde, zum Beispiel ziehen sie sich nicht voreinander um, stillen jedoch ihre Kinder in der Öffentlichkeit. Eine Verkäuferin hatte zum Beispiel während ihrer Arbeit ihr Kind gestillt. Beim Bezahlen hat sie es kurz auf ihren Schoß gelegt und ihre Brust hing raus, was ihr nichts auszumachen schien. Geht man dann aber in ein Schwimmbad sieht man kaum eine Bolivianerin in einem Bikini, sondern in Shorts und einem Shirt. Diejenigen, die die Bikinis tragen, sind meistens die Brasilianer.
Die Kindern werden auch einfach auf der Straße gewickelt und nicht selten sieht man eine Cholita am Straßenrand ihren Rock hochheben, um sich mal schnell zu entleeren.

Das mit den Kindern wird hier auch anders gehandhabt als bei uns. Sie werden nämlich überallhin mitgenommen. Während die Frauen arbeiten, sitzen die Kinder daneben und machen ihre Hausaufgaben oder sie liegen auf der Straße und schlafen. Gestern habe ich eine Näherin gesehen, dessen Kind während des Nähens auf dem Tisch neben der Nähmaschine saß. Sie haben nicht immer die Möglichkeit oder die finanziellen Mittel ihre Kinder irgendwo unterzubringen, sind jedoch darauf angewiesen zu arbeiten.




Viele Kinder helfen jedoch auch beim Arbeiten mit. 



Kinderarbeit ist keine Seltenheit in Bolivien. Die Kinder laufen meistens nachts durch die Bars und verkaufen Zigaretten, Süßigkeiten etc. Auch werden sie oft von den Eltern zum Betteln geschickt, da sie wohl mehr Geld einnehmen. Die meisten von diesen Kindern, gehen nicht mehr zur Schule und sind nicht älter als 12, eher noch jünger. Zwar gibt es hier eine Schulpflicht, jedoch wird dies nicht weiter kontrolliert, ich glaube aus Mangel an Personal und Mitteln. Viele von ihnen putzen an den Ampeln auch die Autoscheiben für ein bisschen Kleingeld oder führen Kunststücke während der roten Ampelphasen auf. An einer Kreuzung gibt es zum Beispiel kleine Jungs, die sich Pappkartons mit ausgeschnittenen Gesichtern überziehen und abends tanzen. Für mich ein ganz trauriges Bild, für sie überlebensnotwendig.

Zum Einkaufen gehen die meisten Cochabambinos auf die Cancha. Cancha heißt einfach nur Sport- oder Fußballplatz, jedoch so riesig, dass ich mich wahrscheinlich niemals orientieren werden kann. Das Gute ist, dass sich immer dieselbe Ware in einer Straße befindet, zum Beispiel gibt es eine Straße nur mit Friseurläden oder eine, in der man nur Schuhe kaufen kann. Hier kaufen die Einheimischen vom Schraubenschlüssel bis zur Unterwäsche alles ein, was sie brauchen. Rund um die Cancha herrschen beständiges Chaos und Lärm. Die Mischung aus hupenden Autos, ausrufenden Händlern und der ohrenbetäubenden Musik von den Ständen, an denen Musikkassetten und CDs verkauft werden, machen eine Besuch dieser Ecke Cochabambas zu einem Erlebnis.
...normalerweise ist dies die Aufgabe der Männer, während die Frauen verkaufen. 










Für Ausländer ist es nicht unbedingt ratsam Fleisch von der "cancha" zu kaufen, da die hygienischen Bedingungen alles andere als ideal sind. Man sollte erst einmal seinen Magen daran gewöhnen. Was sehr zu empfehlen ist, sind "anticuchos" (Rinderherzen) und die schmecken "auf der Straße" einfach überragend. Es gibt aber auch andere Spezialitäten, wie zum Beispiel Innereien, Zunge und Euter. Diese schmecken besser, wenn man nicht weiß, was man isst. Zu den weiteren Spezialitäten gehören Meerschweinchen. Dazu kann ich jedoch noch nichts sagen...








































...hier gibt es einen halben Liter frisch gepressten Orangensaft für weniger als einen Euro.





































 ...lecker Schweinefuß











Es gibt auch einen Bereich, in dem gestohlene Ware verkauft wird. Wurde einem also etwas geklaut, könnte man es sich theoretisch wiederkaufenJ, jedoch sollte man nur in Begleitung eines Bolivianers hingehen, da es nicht ungefährlich ist. Braucht man nur eine Kleinigkeit und möchte dafür nicht auf die Cancha gehen, geht man in eine „tienda“ (kleiner Einkaufsladen) von denen es etliche gibt.
Die "tiendas" sind meistens geschlossen. Wenn jemand etwas kaufen möchte klingelt oder ruft er nach der Verkäuferin, so müssen sich diese nicht die ganze Zeit in der "tienda" aufhalten.


Begegnung mit Armut, Leid und Krankheit - die Schattenseiten Boliviens
Ich bin noch nie so viel Armut begegnet wie in Bolivien. Es gibt unglaublich viele Menschen, sowohl Erwachsene als auch Kinder, die auf der Straße leben und um ihr tägliches Überleben kämpfen müssen. Noch schlimmer ist das Bild eines Kindes, welches an seinem Kleber schnüffelt - "inhaladores de clefa" oder "cleferos".

Die "clefereos" erreichen oft nur das Jugendalter, da sie aufgrund der Nebenwirkungen des Klebers relativ früh sterben. 

Kleber lässt Hunger und Durst vergessen, so dass selbst manche Mütter aus Geldmangel ihre Kleinkinder am Kleber schnüffeln lassen.



Ich habe bereits mit mehreren Leuten darüber gesprochen und es scheint wohl sehr schwierig zu sein, "cleferos" vom Schnüffeln und der Straße wegzubringen. Ich möchte hinsichtlich dessen gerne eigene Erfahrungen machen und mehr über das Leben auf der Straße lernen.
Vor kurzem habe ich drei kleine Kinder auf der Straße sitzen sehen, die Fernsehen vor einer Videothek geschaut haben. Als ich dann in ihre Gesichter schaute, hielten sie sich alle ihre Kleberdosen unter die Nase. Anscheinend ein alltägliches Bild für die Bolivianer. Als ich abends wieder an dieser Videothek vorbeilief, lag einer der Jungs, ca. 10 Jahre alt, mitten auf dem Gehweg und zeigte keine Reaktion. Die Menschen sind an ihm vorbeigelaufen, haben ihn angeschaut und dabei blieb es. Ich wusste in dem Moment nicht was ich tun sollte, denn ich selbst habe gelernt den Menschen zu misstrauen, denn jede Situation könnte eine Falle sein. Für mich ein sehr trauriges Menschenbild, was aber leider sehr oft der Realität entspricht, zumindest in Bolivien. Ich bin erst einmal stehen geblieben und habe geschaut ob er atmet. Der Oberkörper bewegte sich. Dann bin ich zu einem Bolivianer gegangen und habe gefragt, ob man denn nicht irgendetwas tun könne. Er meinte daraufhin: „Wenn du dich dazu aufraffen kannst?“ Ich bin also zu dem Jungen hin und habe versucht ihn aufzuwecken. Das Erste was er tat, war in seine Taschen zu greifen, vermutlich um zu überprüfen, ob er sein Hab und Gut noch habe. Seine darauffolgende Reaktion war das Herausholen seiner Kleberdose. Daraufhin kamen direkt Freunde von ihm, die nur zu mir meinten, er sei ein „clefero“. Diese schlafen irgendwo ein und manchmal wachen sie einfach nicht mehr auf, weil sie sich durch das Schnüffeln das gesamte Nervensystem zerstören. Ich möchte verstehen können, warum diese Kinder es bevorzugen auf der Straße zu leben als in einem Heim untergebracht zu sein. Was andere mir berichtet haben, ist dass sie sich nicht an die Regeln halten wollen, die es in einem Heim gibt und mit dem Freiheitsentzug nicht zurechtkommen. Durch meine Arbeit in Deutschland habe ich gelernt, dass es oft die Freunde auf der Straße sind, die die Menschen dort halten, denn diese sind zu ihrer Familie geworden - die Einzige die sie haben. Ich möchte jedoch selbst erfahren, was die Menschen hier zu diesem Leben bewegt.


die Plaza San Sebastian




Wenn sie nicht auf der Straße schlafen, hausen sie in solchen "Hütten" und meist inmitten von großen Müllbergen.


Ist es zu erneuten Verbrechen von seiten der "inhaladores de clefa" gekommen, führt die Polizei eine ihrer "Aufräumaktionen" durch und wenn es sein muss auch mit Gewalt. Die "inhaladores de clefa" werden an einen anderen Ort gebracht. Um der Gewalt vonseiten der Polizei zu entkommen, können sie diese in Form von Geld und anderen Wertgegenständen bezahlen, bei den Mädchen dagegen gibt es andere Zahlungsmittel. Dies ist doch eine sinnvolle Art und Weise die Stadt zu "säubern". In Brasilien gehen die Polizisten in die Favelas und töten die Menschen, um die Anzahl dieser zu verringern. Da haben die "inhaladores de clefa" in Bolivien noch Glück gehabt. Zwar erfahren sie Gewalt, kommen jedoch noch mit ihrem Leben davon. Man wird hier mit Dingen konfrontiert, bei denen man nicht glauben möchte, dass sie wahr sind und es gibt noch vieles von dem man/ ich nichts weiß oder vor denen man die Augen verschließt, weil es zum einen einfacher ist, sich damit nicht auseinandersetzen zu müssen und man zum anderen auch einfach machtlos ist.    

Kinderarbeit ist ein großes Thema in Bolivien. Ich werde nie einen Text vergessen, in dem Kinder sich darüber beschwert haben, dass zum Beispiel die Europäer sie vom Arbeiten abhalten wollen. Schließlich bräuchten sie die Arbeit für ihr tägliches Überleben, denn Schulbücher ließen sich nicht essen. Nie zuvor habe ich es aus dieser Sichtweise betrachtet. Wir Europäer meinen vieles besser zu wissen, versetzen uns jedoch nicht intensiv genug in die Menschen hinein. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Kinder es bevorzugen würden in die Schule zu gehen, was jedoch finanziell einfach nicht möglich ist. Leider ist es Realität, dass sei bereits in sehr jungen Jahren selbst Geld verdienen müssen, um die Familie mit zu ernähren. Ein Teufelskreis, denn ohne Bildung werden die Menschen nicht aus der Armut herauskommen. Leider muss man sich dessen bewusst sein, dass die Kinder meistens dieselbe Zukunft erwartet wie ihre Eltern.
Was sehr traurig ist, ist die Tatsache, dass viele, die auf der Straße leben, Kinder kriegen, um diese zum Betteln zu schicken. Denn Kinder verdienen beim Betteln mehr Geld als Erwachsene. Dies ist etwas was mir unser Psychologe gesagt hat. Kinder sind für viele Objekte, die ersetzbar sind. Sie dienen zum Betteln bis zum fünften Lebensjahr ungefähr, danach werden sie verkauft. Dies darf man natürlich unter keinen Umständen verallgemeinern. Manch einer mag sich nun fragen, was mit den Kindern geschieht. Ich weiß nicht, ob ich das genau wissen möchte oder kann, aber Organhandel zum Beispiel wird hier großgeschrieben. Jährlich verschwinden etliche Kinder aus diesem Grund. Und nun kommt wieder etwas für mich Grausames. Wo lässt sich wohl am besten Geld mit Organen verdienen? In den westlichen Ländern natürlich. Manchmal wachen die Kinder auf und haben Narben an ihrem Körper. Dann haben sie noch Glück gehabt, denn viele erblicken nie wieder das Tageslicht. Auch Frauenhandel wird zu einem immer größerem Thema. Kommen wir zum Thema Prostitution. Für Minderjährige ist es verboten sich zu prostituieren, jedoch findet man nicht selten junge Mädchen, die ihren Körper anbieten. Oft gelangen sie über eine Freundin in diese Branche. Vor ein paar Tagen noch sind wir während der Arbeit am Busbahnhof einem jungen Mädchen begegnet, das mit einer anderen Prostituierten am Straßenstrich saß. Man sieht es den Mädchen meistens an, ob sie neu sind in der Branche oder nicht, zudem kennt unser Psychologe fast alle, die am Terminal arbeiten. Ziemlich zu Beginn hat dieses Mädchen gesagt, dass sie EIGENTLICH Süßigkeiten verkauft. Welch ein Kontrast – Süßigkeiten verkaufen und Kinderstrich. Beim genaueren Hinsehen sind einem jedoch sofort ihre Liebesmahle aufgefallen. Unser Psychologe hat sie versucht dazu zu bringen bei uns im Projekt vorbeizukommen - bei dem Versuch ist es jedoch geblieben, denn sie kam nicht. Das Traurige an der Kinderprostitution ist, dass niemand etwas dagegen tut. Unser Psychologe hat wegen eines anderen Mädchens beim Jugendamt angerufen, ihre Antwort - sie würden sich melden. Der Rückruf kam nie und das kam nicht nur einmal vor.
Nicht selten erlebt man Leid, was die Kinder im Projekt angeht. Ein ganz großes und alltägliches Thema ist Gewalt.
En Bolivia, vivimos rodeados de violencia. Esta violencia le cuesta al país 1700 millones de dólares al año: una cantidad que supera ampliamente la suma de lo invertido en educación y en salud. Con más de 55 muertes violentas por cada 100 mil habitantes al año, el país está, desde hace varios años, en la lista de los más violentos del continente.
"In Bolivien leben wir umgeben von Gewalt. Diese Gewalt kostet das Land knapp 1700 Millionen Dollar im Jahr: Ein Betrag, der über dem liegt, der in Bildung und Gesundheit investiert wird. Mit mehr als 55 Toten  pro 100 Millionen Einwohner im Jahr - durch Einwirkung von Gewalt, ist dieses Land seit einigen Jahren in der Liste der gewalttätigsten Länder des Kontinentes."
Una mirada atenta nos permitirá reconocer que la violencia está en todas partes y se expresa de formas distintas: – algunas de ellas muy sutiles – en la familia, en las iglesias, en los ambientes laborales, en la calle, en los estadios, en las aulas y en los supermercados. 
"Ein aufmerksamer Blick lässt uns erkennen, dass Gewalt in den unterschiedlichsten Formen und an allen möglichen Orten vorhanden ist - in der Kirche, auf der Arbeit, in der Straße, im Stadion, im Klassenzimmer, in den Supermärkten und in Familien."
Ich bin zuvor noch nie mit so viel Gewalt in Familien konfrontiert worden, wie hier. So ziemlich in meinen ersten Tagen, als ich noch weniger Spanisch konnte, kam ein Junge zu mir und zeigte mir seinen Gürtel. Ich dachte mir dieser wäre vielleicht neu und er wolle ihn mir stolz präsentieren, was Kinder ja gerne tun. Ganz im Gegenteil. Denn er wollte mir sagen, dass ihn seine Mama damit ins Gesicht geschlagen habe. Anschließend hat er einen anderen Jungen gefragt, ob seine Mama auch so böse sei. Dieser hatte mit „Ja“ geantwortet. Auch er kam eines Tages mit unheimlich vielen Beulen auf dem Kopf, Kratzern im Gesicht und blauen Flecken am Körper in den Kindergarten – nachdem er sowieso schon mehr als eine Woche nicht erschienen ist. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie er vorher ausgesehen haben mag. Auf die Frage hin, wer ihm das angetan habe, sagte er seine Schwester. Seine Schwester ist fünf Jahre alt. Im weiteren Gespräch hat sich herausgestellt, dass es der betrunkene Freund seiner Mutter gewesen ist. Gewalt scheint jedoch für viele Frauen kein Trennungsgrund zu sein. Nicht selten sieht man Frauen mit Hämatomen, ausgeschlagenen Zähnen oder blutigen Wunden in Gesicht und Körper. Ich weiß nicht was es genau ist, was sie an ihren gewalttätigen Partnern hält. Hinsichtlich dessen erfahren sie jedoch jegliche Unterstützung in unserem Projekt.  
Auch erlebt man Ehepartner, die ihre Kinder betrunken abholen kommen. Oder Kinder, die sich wehren mit ihren Müttern nach Hause zu gehen. Was passiert nur mit einem Kind, das nach dem Kindergarten nicht mit seiner Mama nach Haus gehen will?! Hinsichtlich dessen fühlt man sich oft sehr machtlos. Gewalt kommt auch in anderen Formen vor. Die Kinder sind oft verwahrlost, sind nicht gewaschen, tragen dreckige Kleidung und werden nicht gewickelt, so dass sie in ihrem Genitalbereich wund sind. Natürlich ergeht es nicht allen Kindern so, das darf man nicht vergessen. Immer wieder wird mir bewusst, wie wichtig solche Projekte wie unsere sind. Es gibt so viele Projekte, die verschiedene Klientel unterstützen, aber dennoch gibt es unzählige Menschen, denen nicht geholfen werden kann oder die sich nicht helfen lassen wollen.