Besuch im Frauengefängnis
Einige der Frauen, die unser
Projekt besuchten, sind im Gefängnis gelandet. Die Meisten von ihnen deshalb,
weil sie Klebstoff verkauft haben. Der Besuch im Frauengefängnis war ein „Erlebnis“
für sich. Am Eingang wird der Personalausweis eines Jeden kontrolliert und man
bekommt einen Stempel auf den Unterarm (ähnlich wie bei einem Diskobesuch),
wenn man passieren darf.
Anschließend wird man in einer kleinen Kabine
durchgecheckt. Sobald sich die große Tür zu den Insassen öffnet, kommt man
sich vor wie auf einem Marktplatz. Mitten im Geschehen Stühle und Tische aus
Plastik, wo die Frauen sitzen, trinken und sich unterhalten. Drumherum befinden
sich kleine „tiendas“, wo allerlei eingekauft werden kann. Das alles spielt
sich unter freiem Himmel ab. Über den Köpfen hängen kreuz und quer Wäscheleinen
mit Kleidung. Schaut man geradeaus, sieht man Kochnischen bestehend aus großen
Kochtöpfen. Auf der ersten Etage bekommt man Einblick in die Zimmer, in denen die Frauen mit mehreren auf wenigen Quadratmetern hausen. Viele von ihnen sind mit Handarbeiten
beschäftigt, denn sie müssen den Aufenthalt im Gefängnis bezahlen. Im Gefängnis gibt es diverse Workshops, in denen sie unter anderem Stricken lernen können. Sie müssen daran teilnehmen, denn schließlich sind sie nicht zum Vergnügen im Gefängnis und Nichtstun wird nicht geduldet. In dem Getummel befindet sich eine Nonne, die gemeinsam mit einigen Frauen Postkarten
gestaltet und diese anschließend auf der "cancha" verkauft. Durch verschiedene Organisationen erhalten die Frauen „Startkapital“,
wie zum Beispiel Wolle. Mit dem Verkauf ihrer Handarbeiten, müssen sie sich
selbst weiteres Material kaufen. Außerhalb des Gefängnisses gibt es ein kleines
„Geschäft“, wo all die Handarbeiten der Frauen gekauft werden können. Nicht
wenige Frauen sieht man mit ihren Kindern oder ihrem Baby auf dem Arm, mit
denen sie gemeinsam im Gefängnis wohnen. Den Frauen geht es in den Gefängnisse
gesundheitlich oft besser als außerhalb, da sie dort nicht die Möglichkeit
haben Drogen zu konsumieren. „Sobald sie rauskommen, fallen sie jedoch in ihre alten
Muster zurück“ so unsere Psychologin. Daher verstand ich sie auch als sie zu
den Frauen sagte, ihr solltet besser hier drin bleiben, als versuchen wieder
rauszukommen. Zwischendurch hört man Durchsagen, wenn zum Beispiel eine Frau
aufgerufen wird, weil sie Besuch hat. Nach einer Stunde ist die Besuchszeit zu Ende
und alle stürmen zur Tür, ansonsten muss Strafe gezahlt werden.
Diverse Zeitungsberichte
über erschreckende Zustände in bolivianischen Gefängnissen
Das Gefängnis „San
Sebastian“ in Cochabamba ist das am meisten Vernachlässigte Boliviens
Das Gefängnis hat zurzeit eine
Population von 600 Insassen, wobei die Kapazität bereits mit 300 Insassen
ausgeschöpft ist. Außerdem läuft Gefahr, dass die Mauern wegen des Alters
zusammenfallen.
Schlafsituation, ist in den Gefängnisräumen kein Platz, so werden weitere Insassen in den Gängen untergebracht |
Trotz der Anhäufung hat es überraschenderweise bis zum heutigen Zeitpunkt noch keine Epidemie gegeben.
Wie bereits bekannt ist und was sich in vielen Gefängnissen Boliviens wiederholt, ist die Tatsache, dass die Häftlinge samt Kinder und Ehefrau im Gefängnis leben. In ihrem Bemühen sich einen eigenen Bereich zu schaffen, haben sie Gefängniszellen aus Pappe, Wellblech und Stoff konstruiert.
Gefängnisse, die
platzen
Die Realität der bolivianischen
Gefängnisse ist armselig. Bolivien ist eines der Länder mit einer
Gefängnisüberbevölkerung. Es gibt 54 Gefängnisse im ganzen Land verteilt, von
denen 16 zu den Hauptgefängnissen zählen. Diese befinden sich in La Paz,
Cochabamba und Santa Cruz. Von diesen 16 Gefängnissen haben 12 die Kapazität
des Hauses überschritten.
Ramiro Llanos, Direktor des Strafvollzuges erklärt, dass die
Anhäufungen in den Strafanstalten gravierend sein können, nicht nur bezüglich
des physischen Aspektes oder aufgrund der Kontrolle der Gefangenen, sondern
wegen der Schwierigkeiten, die die Rehabilitation der Gefangen betreffen. Dies
stellt sich bei immer voller werdenden Gefängnissen als immer schwerer heraus.
„Unsere größte Sorge ist, dass die Häuser irgendwann zusammenstürzen. Die
Gefängnisse in Cochabamba, San Pedro de Sacaba und Quillacollo zählen zu den
ältesten Gefängnissen. Deren Mauern waren dick und hoch, sind jedoch mit jedem Mal
als dünner zu verzeichnen. Es gibt gravierende strukturelle Mängel.“
„Während sich die Gefängnisse füllen, brechen die Dienstleistungen zusammen: Wasser, Licht, Abwasserleitung.“
Nicht selten wurde ich auf dem
Weg zur Arbeit, vorbei an dem Gefängnis „San Sebastian“ von einem unausstehlichen
Geruch überrollt, weil wieder einmal die Abwasserleitung nicht funktionierte.
„Die Gefangenen haben weder
Möglichkeit sich zu entspannen, noch zu arbeiten. Es gibt durchgehend Lärm.
Daher lassen sich die Therapien, die wir durchführen möchten, nicht
realisieren, denn es gibt nicht ausreichend Räume.“ In den Gefängnissen werden
die Therapien in den Zellen durchgeführt. In „San Pedro“ in La Paz existiert
dasselbe strukturelle Problem. Zu jeder Zeit könnten die Wände in sich
zusammenfallen. Ein weiteres Problem,
das in den Gefängnissen anzutreffen ist, ist der Alkohol- und Drogenkonsum,“ erklärt
Llanos.
Alkoholische Getränke dienen
geschäftszwecken innerhalb der Gefängnisse. Ständig werden alkoholische
Getränke beschlagnahmt. Ein Liter kann mehr als 100 Dollar in den Gefängnissen
kosten.
„Die Personen, die versuchen ihr
Leben zu verbessern, fallen aufs Neue und wir müssen wieder von Null beginnen.“
Das Thema der Kaution ist ein
weiterer Faktor, das Angst verursacht. Die Mehrzahl der Insassen sagt, als sie
gemeinsam mit weiteren Personen in einen Delikt verwickelt worden seien, wären
die anderen Personen freigekommen, weil sie die Beträge zahlen konnten. Die,
die kein Geld haben, bleiben drinnen.
16% der Insassen Boliviens haben
ein Urteil, während die Übrigen keines haben. Im Fall Cochabamba haben 95% der
Gefangenen kein Gerichtsurteil.
In den Gefängnissen
gibt es reguläre illegale Einnahmen
Die Gefangen sind Opfer von
Erpressung, Nötigung und Folter.
Das Recht auf Wohnung und Leben,
Telefongespräche, Besuche von Familie und Freunden und Kabelfernsehen sind
einige der Motive, für die in den Gefängnissen Cochabambas Geld eingefordert
wird.
Die illegale Einnahme in den
Gefängnissen Boliviens ist keine Neuigkeit. Meistens wird Geld durch Folter und
Nötigung eingefordert, wie es in den Zeitungen denunziert worden ist.
Die Delegierten der
Strafvollzugsanstalt müssen einen monatlichen Nachweis der wirtschaftlichen
Einnahmen mit Belegen erbringen. Die Gefängniswächter bekommen eine Besoldung
von 150-200 Bs pro Einnahme, die realisiert wird.
Unterzeichneten Dokumenten
zufolge werden jeden Monat mehr als
50.000 Bs eingenommen für: Telefonanrufe, Wohnrecht, Besuchereinnahmen,
Kabelfernsehen, Miete der Gefängniszelle, das Recht auf Leben und anderes.
Nur an einem Tag werden bezüglich
der Telefonanrufe 1300 Bs eingenommen und für das Wohnrecht zahlen die Insassen
zwischen 50 und 200 Bs.
Ein Insasse, der 200 Bs für sein Wohnrecht
zahlte, bekam eine Quittung. Ein anderer, der nur 50 Bs zahlte, bekam keine.
Jeden Tag werden an der Tür ca.
200 Bs von den Besuchern eingenommen. Sie zahlen 1 Bs, um ihre Freunde und
Verwandten zu besuchen. Sonn- und Feiertags werden bis zu 250 Bs eingenommen.
Dieser Betrag kann monatlich variieren.
Die monatlichen Einnahmen werden
von den Delegierten verwaltet. Ein Prozentsatz kommt der Regierung und der
Lebensmittelversorgung zu Gute. Der Rest wird jedoch gemäß der Anklage eines
Ex-Insassen unter den Delegierten aufgeteilt.
„Warum weder die Regierung noch
die Polizei etwas dagegen unternimmt? Sie wissen ganz genau, wer von den
Einnahmen profitiert“, sagt ein Ex-Insasse.
Insassen Cochabambas
Den Angaben von 2010 zufolge,
gibt es 1980 Insassen in den sechs Gefängnissen Cochabambas.
690 wurden aufgrund des Handels
von Drogen inhaftiert, 477 wegen Vergewaltigung, 164 wegen Mord, 286 wegen
schweren Raubs, 146 wegen Tötung und 303 wegen weiterer Delikte. 75% der Insassen befinden sich in Untersuchungshaft. Die restlichen
25% haben ihr Urteil.
Es gibt 8666 Gefangene in
Bolivien. Diese Ziffer schließt die Minderjährigen aus, die gemeinsam mit ihren
Eltern in den Gefängnissen leben. Die Zahl der Kinder liegt bei 2000.
Aufgrund dieser erschreckenden Tatsachen haben die Gefängnisinsassen des Gefängnisses "San Sebastian" tagelang rebelliert.
Ein Blick von außen auf das Gefängnis genügt, um einen Eindruck von den strukturellen Mängeln zu bekommen. |
Die Straße durfte in der Zeit nicht passiert werden. |
"All unsere Rechte müssen respektiert werden."
Auf dem Weg zur Arbeit bin ich an dem Gefängnis vorbeigelaufen, da
sich unser Projekt direkt nebenan befindet, so dass man das Klopfen der
Insassen hören kann, wenn man sich in unseren Räumen aufhält. Beim Vorbeilaufen
sieht man oft die Männer in den kleinen Fenstern hängen, die einem hinterher
pfeifen oder etwas zurufen. Manchmal ertönt auch laute Reggaeton Musik aus dem
Gefängnis. Vor der Tür ist täglich eine Riesenschlange an Besuchern zu sehen,
die dort Freunde, Ehemänner, Väter und Söhne besuchen. Vor dem Eingang, gegenüber dem Gefängnis und auf dem Dach befinden sich Polizisten, die für "Recht und Ordnung" sorgen und einem
selbst auch gerne mal hinterherpfeifen.
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