Samstag, 28. September 2013

Gefängnisse Boliviens - erschreckende Tatsachen

Besuch im Frauengefängnis
Einige der Frauen, die unser Projekt besuchten, sind im Gefängnis gelandet. Die Meisten von ihnen deshalb, weil sie Klebstoff verkauft haben. Der Besuch im Frauengefängnis war ein „Erlebnis“ für sich. Am Eingang wird der Personalausweis eines Jeden kontrolliert und man bekommt einen Stempel auf den Unterarm (ähnlich wie bei einem Diskobesuch), wenn man passieren darf. 


Anschließend wird man in einer kleinen Kabine durchgecheckt. Sobald sich die große Tür zu den Insassen öffnet, kommt man sich vor wie auf einem Marktplatz. Mitten im Geschehen Stühle und Tische aus Plastik, wo die Frauen sitzen, trinken und sich unterhalten. Drumherum befinden sich kleine „tiendas“, wo allerlei eingekauft werden kann. Das alles spielt sich unter freiem Himmel ab. Über den Köpfen hängen kreuz und quer Wäscheleinen mit Kleidung. Schaut man geradeaus, sieht man Kochnischen bestehend aus großen Kochtöpfen. Auf der ersten Etage bekommt man Einblick in die Zimmer, in denen die Frauen mit mehreren auf wenigen Quadratmetern hausen. Viele von ihnen sind mit Handarbeiten beschäftigt, denn sie müssen den Aufenthalt im Gefängnis bezahlen. Im Gefängnis gibt es diverse Workshops, in denen sie unter anderem Stricken lernen können. Sie müssen daran teilnehmen, denn schließlich sind sie nicht zum Vergnügen im Gefängnis und Nichtstun wird nicht geduldet. In dem Getummel befindet sich eine Nonne, die gemeinsam mit einigen Frauen Postkarten gestaltet und diese anschließend auf der "cancha" verkauft. Durch verschiedene Organisationen erhalten die Frauen „Startkapital“, wie zum Beispiel Wolle. Mit dem Verkauf ihrer Handarbeiten, müssen sie sich selbst weiteres Material kaufen. Außerhalb des Gefängnisses gibt es ein kleines „Geschäft“, wo all die Handarbeiten der Frauen gekauft werden können. Nicht wenige Frauen sieht man mit ihren Kindern oder ihrem Baby auf dem Arm, mit denen sie gemeinsam im Gefängnis wohnen. Den Frauen geht es in den Gefängnisse gesundheitlich oft besser als außerhalb, da sie dort nicht die Möglichkeit haben Drogen zu konsumieren. „Sobald sie rauskommen, fallen sie jedoch in ihre alten Muster zurück“ so unsere Psychologin. Daher verstand ich sie auch als sie zu den Frauen sagte, ihr solltet besser hier drin bleiben, als versuchen wieder rauszukommen. Zwischendurch hört man Durchsagen, wenn zum Beispiel eine Frau aufgerufen wird, weil sie Besuch hat. Nach einer Stunde ist die Besuchszeit zu Ende und alle stürmen zur Tür, ansonsten muss Strafe gezahlt werden.




Diverse Zeitungsberichte über erschreckende Zustände in bolivianischen Gefängnissen

Das Gefängnis „San Sebastian“ in Cochabamba ist das am meisten Vernachlässigte Boliviens
Das Gefängnis hat zurzeit eine Population von 600 Insassen, wobei die Kapazität bereits mit 300 Insassen ausgeschöpft ist. Außerdem läuft Gefahr, dass die Mauern wegen des Alters zusammenfallen.

Schlafsituation, ist in den Gefängnisräumen kein Platz, so werden weitere Insassen in den Gängen untergebracht
Trotz der Anhäufung hat es überraschenderweise bis zum heutigen Zeitpunkt noch keine Epidemie gegeben.
Wie bereits bekannt ist und was sich in vielen Gefängnissen Boliviens wiederholt, ist die Tatsache, dass die Häftlinge samt Kinder und Ehefrau im Gefängnis leben. In ihrem Bemühen sich einen eigenen Bereich zu schaffen, haben sie Gefängniszellen aus Pappe, Wellblech und Stoff konstruiert.

Gefängnisse, die platzen
Die Realität der bolivianischen Gefängnisse ist armselig. Bolivien ist eines der Länder mit einer Gefängnisüberbevölkerung. Es gibt 54 Gefängnisse im ganzen Land verteilt, von denen 16 zu den Hauptgefängnissen zählen. Diese befinden sich in La Paz, Cochabamba und Santa Cruz. Von diesen 16 Gefängnissen haben 12 die Kapazität des Hauses überschritten.
Ramiro Llanos, Direktor des Strafvollzuges erklärt, dass die Anhäufungen in den Strafanstalten gravierend sein können, nicht nur bezüglich des physischen Aspektes oder aufgrund der Kontrolle der Gefangenen, sondern wegen der Schwierigkeiten, die die Rehabilitation der Gefangen betreffen. Dies stellt sich bei immer voller werdenden Gefängnissen als immer schwerer heraus. „Unsere größte Sorge ist, dass die Häuser irgendwann zusammenstürzen. Die Gefängnisse in Cochabamba, San Pedro de Sacaba und Quillacollo zählen zu den ältesten Gefängnissen. Deren Mauern waren dick und hoch, sind jedoch mit jedem Mal als dünner zu verzeichnen. Es gibt gravierende strukturelle Mängel.“
„Während sich die Gefängnisse füllen, brechen die Dienstleistungen zusammen: Wasser, Licht, Abwasserleitung.“
Nicht selten wurde ich auf dem Weg zur Arbeit, vorbei an dem Gefängnis „San Sebastian“ von einem unausstehlichen Geruch überrollt, weil wieder einmal die Abwasserleitung nicht funktionierte.
„Die Gefangenen haben weder Möglichkeit sich zu entspannen, noch zu arbeiten. Es gibt durchgehend Lärm. Daher lassen sich die Therapien, die wir durchführen möchten, nicht realisieren, denn es gibt nicht ausreichend Räume.“ In den Gefängnissen werden die Therapien in den Zellen durchgeführt. In „San Pedro“ in La Paz existiert dasselbe strukturelle Problem. Zu jeder Zeit könnten die Wände in sich zusammenfallen.  Ein weiteres Problem, das in den Gefängnissen anzutreffen ist, ist der Alkohol- und Drogenkonsum,“ erklärt Llanos.
Alkoholische Getränke dienen geschäftszwecken innerhalb der Gefängnisse. Ständig werden alkoholische Getränke beschlagnahmt. Ein Liter kann mehr als 100 Dollar in den Gefängnissen kosten.
„Die Personen, die versuchen ihr Leben zu verbessern, fallen aufs Neue und wir müssen wieder von Null beginnen.“
Das Thema der Kaution ist ein weiterer Faktor, das Angst verursacht. Die Mehrzahl der Insassen sagt, als sie gemeinsam mit weiteren Personen in einen Delikt verwickelt worden seien, wären die anderen Personen freigekommen, weil sie die Beträge zahlen konnten. Die, die kein Geld haben, bleiben drinnen.
16% der Insassen Boliviens haben ein Urteil, während die Übrigen keines haben. Im Fall Cochabamba haben 95% der Gefangenen kein Gerichtsurteil.

In den Gefängnissen gibt es reguläre illegale Einnahmen
Die Gefangen sind Opfer von Erpressung, Nötigung und Folter.
Das Recht auf Wohnung und Leben, Telefongespräche, Besuche von Familie und Freunden und Kabelfernsehen sind einige der Motive, für die in den Gefängnissen Cochabambas Geld eingefordert wird.
Die illegale Einnahme in den Gefängnissen Boliviens ist keine Neuigkeit. Meistens wird Geld durch Folter und Nötigung eingefordert, wie es in den Zeitungen denunziert worden ist.
Die Delegierten der Strafvollzugsanstalt müssen einen monatlichen Nachweis der wirtschaftlichen Einnahmen mit Belegen erbringen. Die Gefängniswächter bekommen eine Besoldung von 150-200 Bs pro Einnahme, die realisiert wird.
Unterzeichneten Dokumenten zufolge  werden jeden Monat mehr als 50.000 Bs eingenommen für: Telefonanrufe, Wohnrecht, Besuchereinnahmen, Kabelfernsehen, Miete der Gefängniszelle, das Recht auf Leben und anderes.
Nur an einem Tag werden bezüglich der Telefonanrufe 1300 Bs eingenommen und für das Wohnrecht zahlen die Insassen zwischen 50 und 200 Bs.
Ein Insasse, der 200 Bs für sein Wohnrecht zahlte, bekam eine Quittung. Ein anderer, der nur 50 Bs zahlte, bekam keine.
Jeden Tag werden an der Tür ca. 200 Bs von den Besuchern eingenommen. Sie zahlen 1 Bs, um ihre Freunde und Verwandten zu besuchen. Sonn- und Feiertags werden bis zu 250 Bs eingenommen. Dieser Betrag kann monatlich variieren.
Die monatlichen Einnahmen werden von den Delegierten verwaltet. Ein Prozentsatz kommt der Regierung und der Lebensmittelversorgung zu Gute. Der Rest wird jedoch gemäß der Anklage eines Ex-Insassen unter den Delegierten aufgeteilt.
„Warum weder die Regierung noch die Polizei etwas dagegen unternimmt? Sie wissen ganz genau, wer von den Einnahmen profitiert“, sagt ein Ex-Insasse.

Insassen Cochabambas
Den Angaben von 2010 zufolge, gibt es 1980 Insassen in den sechs Gefängnissen Cochabambas.
690 wurden aufgrund des Handels von Drogen inhaftiert, 477 wegen Vergewaltigung, 164 wegen Mord, 286 wegen schweren Raubs, 146 wegen Tötung und 303 wegen weiterer Delikte. 75% der Insassen befinden sich in Untersuchungshaft. Die restlichen 25% haben ihr Urteil.
Es gibt 8666 Gefangene in Bolivien. Diese Ziffer schließt die Minderjährigen aus, die gemeinsam mit ihren Eltern in den Gefängnissen leben. Die Zahl der Kinder liegt bei 2000. 
Aufgrund dieser erschreckenden Tatsachen haben die Gefängnisinsassen des Gefängnisses "San Sebastian" tagelang rebelliert.

Ein Blick von außen auf das Gefängnis genügt, um einen Eindruck von den strukturellen Mängeln zu bekommen.  
Die Straße durfte in der Zeit nicht passiert werden. 











"All unsere Rechte müssen respektiert werden."




Auf dem Weg zur Arbeit bin ich an dem Gefängnis vorbeigelaufen, da sich unser Projekt direkt nebenan befindet, so dass man das Klopfen der Insassen hören kann, wenn man sich in unseren Räumen aufhält. Beim Vorbeilaufen sieht man oft die Männer in den kleinen Fenstern hängen, die einem hinterher pfeifen oder etwas zurufen. Manchmal ertönt auch laute Reggaeton Musik aus dem Gefängnis. Vor der Tür ist täglich eine Riesenschlange an Besuchern zu sehen, die dort Freunde, Ehemänner, Väter und Söhne besuchen. Vor dem Eingang, gegenüber dem Gefängnis und auf dem Dach befinden sich Polizisten, die für "Recht und Ordnung" sorgen und einem selbst auch gerne mal hinterherpfeifen. 

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